„Konfirmation ist oft ein Freifahrtschein für das erste Besäufnis…“

Notaufnahme statt Familienfeier: Jedes Jahr landen frisch gebackene Konfirmandinnen und Konfirmanden wegen Alkoholvergiftungen im Krankenhaus. Die christliche Feier ist in vielen Regionen Deutschlands immer noch eine Art Initiationsritus zum Erwachsenwerden und damit der Freifahrtschein, um das erste Mal öffentlich Alkohol trinken zu dürfen. Diplom-Sozialpädagoge Harald Nolte von der Fachstelle für Suchtprävention im Werra-Meißner-Kreis in Eschwege erklärt im Interview mit Bettina Levecke von Starke-Eltern.de, was dahintersteckt und wie Eltern sich verhalten sollten.

Starke-Eltern: Sehr geehrter Herr Nolte, landauf und landab werden jetzt die Konfirmationen gefeiert. Sie warnen vor Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen an diesen Feiern. Warum?

Harald Nolte: Wir erleben in jedem Jahr, dass Jugendliche am Tag der Konfirmation so viel Alkohol trinken, dass sie erbrechen oder sogar mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Besonders in Hessen ist der Brauch weit verbreitet, dass sich Konfirmandinnen und Konfirmanden am Nachmittag treffen, um dann mit fragwürdigen Trinkritualen zu feiern.

Warum ist die Konfirmation so stark mit Alkohol verbunden?

 Dahinter stecken alte geschichtliche Bräuche. Die Konfirmation gibt es seit 1538 (Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung), sie ist also schon ein sehr altes evangelisches  Ritual. Mehr und mehr wurde sie aber später zu einem Übergang von der Kindheit zur Erwachsenenwelt. Früher fielen zum Beispiel Konfirmation und Schulabschluss auf die gleiche Zeit, mit 14 Jahren „kam man aus der Schule“ und fing eine Lehre an. Die Konfirmation war also so eine Art Initiationsritus zum Erwachsenwerden und dazu gehört gesellschaftlich eben auch das Trinken alkoholischer Getränke.

Und diese Riten gelten bis heute?

Seltsamerweise ja, obwohl 14jährige Jugendliche heute ja noch lange nicht als Erwachsen gelten, per Gesetz noch gar keinen Alkohol kaufen dürfen.  Trotzdem ist es in vielen Gegenden Deutschlands ganz normal, dass bei der Konfirmation den Jugendlichen zum ersten Mal Alkohol gereicht wird.  Und zwar nicht nur zum Anstoßen. Wir erleben immer wieder, dass Jugendliche manchmal sogar von Verwandten oder sogar den eigenen Eltern regelrecht dazu überredet werden, sich zu betrinken. Frei nach dem Motto: Wenn er jetzt mal die Erfahrung von einem Rausch macht, dann passiert das so schnell nicht wieder. Oft sogar gegen den eigentlichen Willen des Jugendlichen, den 14jährigen schmeckt der Alkohol meistens nämlich gar nicht.

Sie sprachen auch von Trinkritualen unter den Jugendlichen. Was meinen Sie damit?

In vielen ländlichen Gebieten ist es Brauch, dass die Jugendlichen sich am Nachmittag der Konfirmation treffen. Manchmal sitzt man dann nur zusammen und trinkt in der Gruppe, manchmal ziehen die Konfirmanden aber auch von Haus zu Haus und bekommen überall einen Schnaps oder ein anderes alkoholisches Getränk.

Aber die Konfirmandinnen und Konfirmanden sind doch gerade mal 14 Jahre. Rein rechtlich ist das doch komplett verboten?

Natürlich! Was da läuft, ist nicht in Ordnung. Aber es beschreibt das Spannungsfeld, in dem sich die Jugendlichen befinden. Auf der einen Seite gibt es das Jugendschutzgesetz und auch die Warnungen der Eltern und auf der anderen Seite ist es im Dorf ein fester Brauch, dass an diesem Tag alle trinken. Es ist eine richtige Grauzone. Viele Pfarrer berichten uns von schlimmen Exzessen an diesen Tagen.  Für Jugendliche, die da mitten drin stehen, ist es natürlich schwer, Stellung zu beziehen und sich auch zu distanzieren.

Was können Eltern tun?

Man muss sich grundsätzlich erstmal klar werden, was da eigentlich läuft. Nur weil es ein Brauch ist, heißt es ja nicht, dass der auch in Ordnung ist. Man muss sich bewusst machen: Diese Jugendlichen sind 14 Jahre alt! Es macht überhaupt keinen Sinn, dass sie von Haus zu Haus ziehen und sich betrinken! Ich habe schon viele Elternabende zum Thema durchgeführt und dabei festgestellt: Die meisten Eltern wünschen sich, dass diese Trinkrituale endlich aufhören. Ich rate deshalb immer dazu, sich auch mit anderen Eltern auszutauschen. Wenn sich die Eltern im Dorf einig sind, dass dieser Brauch nicht gut ist, können sie ihn auch abschaffen. Das Thema kann man zum Beispiel auch beim Pfarrer ansprechen oder selbst einen Elternabend organisieren. Alternativ können Eltern natürlich auch absprechen: Wenn die Jugendlichen schon von Haus zu Haus ziehen, gibt es Süßigkeiten statt Schnaps oder alkoholfreie Getränke.

Wie kann man den Jugendlichen selbst klar machen, dass er sich nicht betrinken soll?

Ich empfehle, frühzeitig mit den Kindern zu reden und die Konfirmationsfeier zu planen. Unabhängig von den Bräuchen und Ritualen vor Ort, sollte man klarmachen: Das ist ein wichtiges und wertvolles Familienfest. Alle kommen, um mit dir zu feiern. Es wäre schön, wenn du dann auch da bleibst und dich nicht mit deinen Freunden betrinken gehst. Darüber kann man auch Vereinbarungen treffen, zum Beispiel: Wir richten diese Feier nur aus, wenn du dich auch damit einverstanden erklärst, da zu bleiben.

Und was ist mit Alkohol zu Hause?

Auch darüber kann man reden. Das Jugendschutzgesetz erlaubt 14-16jährigen das Trinken im geschützten Rahmen, also in Begleitung eines Erwachsenen. Es ist also in Ordnung, wenn mit einem Sekt angestoßen wird oder die Jugendlichen ein Glas Wein oder Bier zum Essen probieren dürfen. Dabei sollte es aber auch möglichst bleiben. Eltern sollten dann darauf achten, dass ihr Kind sich nicht ein Getränk nach dem nächsten holt, sonst läuft womöglich auch die Familienfeier aus dem Ruder.

Inwiefern sind Eltern und Verwandte Vorbild?

Eltern sind das wichtigste Vorbild überhaupt! Ein gemäßigter Umgang mit Alkohol steht daher auch auf Verwandtenseite an erster Stelle. Mein Tipp: Überlegen Sie sich mit dem Konfirmanden tolle alkoholfreie Getränke, zum Beispiel Cocktails. Es gibt richtig gute Rezepte für eindrucksvolle Getränke, die der Konfirmand auch selbst vorbereiten und anbieten kann. Damit zeigt man am besten: Es kann auch ohne Alkohol lecker und besonders sein!

Lieber Herr Nolte, vielen Dank für das Gespräch!